Es gibt Bücher, die muss man wie ein kostbares Zuckerl lutschen: behutsam ein Wort nach dem anderen auf der Zunge zergehen lassen, den Geschmack auskosten, so lange es geht und der Versuchung widerstehen, schnell zum nächsten Satz weiter zu hüpfen. Der Blick rollt sich schon um den ersten Buchstaben, saugt schon die erste Silbe ein. Nein, halt, langsam. Gaaaanz langsam. Jedes Wort in „In den Wäldern Sibiriens. Tagebuch aus der Einsamkeit“ von Sylvain Tesson verdient diese ehrfurchtsvolle Herangehensweise. „Draußen toben Wind und Kälte so sehr, dass die Blockhütte auseinanderzufallen droht, wenn ich sie nicht mit Liebe fülle.“ Noch ein Stück, bitte. bitte. „Ich, der ich jeder Sekunde an die Kehle sprang, um ihr den letzten Tropfen Saft abzupressen, lerne die Kontemplation.“ Die poetische Beschreibung einer 6-monatigen Auszeit am Baikalsee, das nächste Dorf 120 km entfernt, ist ideal für graue Wintertage, man kuschelt sich in die Worte und erliest sich eine Auszeit, ohne verreisen oder mit der Chefin verhandeln zu müssen.
Einfache Handlungen statt dem Trubel von Paris bestimmen das Leben des Autors nun. Man kann förmlich hören, wie sein aufgedrehter Motor mit jedem Tag Holzhacken, Einheizen und Schlittschuhlaufen ruhiger wird. Und wie seine Schnee-Haikus, die er auf den zugefrorenen See schreibt, täglich form annehmen: „Auf dem weißen Schnee. Die gestrichelte Linie: Heftnaht der Schritte“. Mmmmh! Lecker! Danke, Zuckerl.
Ein tolles Buch für alle, die das Thema Mut zur Einsamkeit interessiert und die gerne eine Sprache mit vielen Sprachbildern genießen.